Zukunftsstädte der Vergangenheit
Einführung
Seit der Antike versucht man dem Wachstum von Siedlungen eine Form zu geben und Städte planvoll anzulegen. Das war auch im Mittelalter so, aber aus dieser Zeit existieren sehr wenige Bilder und schriftliche Quellen. In der Renaissance beginnen Künstler, Militärarchitekten und Staatstheoretiker auch ohne konkreten Anlass, ideale Städte zu entwerfen. Dabei können unterschiedliche Aspekte im Vordergrund stehen:
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die Symmetrie und Schönheit des Stadtbildes und seiner Architektur
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die Veranschaulichung politischer und gesellschaftlicher Ideen
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die Planung der Infrastruktur (Verkehrswege, Wasserversorgung, Befestigung)
Die Erforschung des Städtebaus gehört zu den Kernaufgaben der Kunstgeschichte. Die Bibliotheca Hertziana und das Kunsthistorische Institut in Florenz sind zwei Forschungseinrichtungen der Max-Planck-Gesellschaft, die sich mit der Kunst Italiens beschäftigen. Diese Standorte sind kein Zufall, denn die italienische Kunst war prägend für ganz Europa. Hier studierte man zuerst die Werke der Antike und beschäftigte sich aus historischer und theoretischer Perspektive mit der Kunst. Heute betrachtet die Forschung die italienische Kunst bis in die Gegenwart im europäischen und globalen Zusammenhang.
Das Exponat stellt sieben Pläne von Idealstädten unterschiedlicher Epochen vor, die künstlerische und soziale Ideen ihrer Zeit spiegeln. Die Präsentationsform soll an den Arbeitstisch eines Stadtplaners erinnern und den gezeichneten oder gedruckten Plan durch aufgelegte Gegenstände „zum Leben erwecken“.
Diese erklärenden Texte und Beschriftungen erläutern die zum Teil schwer lesbaren originalen Inschriften auf den Plänen, die z.B. die Gebäudefunktionen benennen, oder auch wichtige Elemente, Themen und Zusammenhänge der Stadtkonzepte. Die Pläne veranschaulichen zum einen die organisatorischen und raumbezogenen Probleme, die Herrscher, Stadtplaner und Architekten zu lösen versuchten. Zum anderen zeigen sie die Schönheit eines wohlgeordneten, symmetrisch angelegten und von den Widrigkeiten der Realität unbeschwerten Idealentwurfs. Regelmäßige Grundformen wie Rechteck, Stern oder Kreis verleihen dem Gemeinwesen eine abstrakte Perfektion, die man nur im gezeichneten Plan erkennen konnte.
Bis zur Erfindung des Heißluftballons im 18. Jahrhundert war der Mensch auf nahegelegene Berge oder hohe Türme angewiesen, wenn er eine Stadt als Ganzes überblicken wollte, und gewann auf diese Weise bestenfalls perspektivisch verzerrte, unvollständige Ansichten. Der Blick aus der Luft war nur mit Hilfe der Vorstellungskraft möglich. Um ein überzeugendes Stadtbild zu entwerfen, brauchte man eine künstlerische Umsetzung.
Gedruckte und gezeichnete Stadtpläne der Vergangenheit sind nicht nur staunenswerte Kunstwerke, sondern auch wichtige Quellen für das Verständnis historischer Gebäudetypen, Raum- und Funktionszusammenhänge. Oft gibt es nur noch wenige Exemplare dieser Pläne. Weil sie für die Forschung so wichtig sind, werden sie von unseren Instituten bearbeitet und in digitaler Form den Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.
1 Der Sankt Galler Klosterplan
Ein Kloster als Siedlung im 9. Jahrhundert
Ist der Plan für ein Kloster eine Stadtutopie? Hier kann man dies bejahen, denn es handelt sich um eine Stadt im Kleinen: Ein Kloster war im Mittelalter nicht nur der Lebensraum einer Gemeinschaft von Mönchen oder Nonnen, die sich dem geistlichen Leben geweiht hatten. Es war auch ein Ort der Weitergabe und Sammlung von Wissen, der Produktion von Kunstwerken, der Entwicklung von handwerklichen Techniken und der Kräuter- und Heilkunde. Auf beschränktem Raum wurde weitgehend alles Lebensnotwendige produziert und konserviert. Die Unterteilung der Räume entsprach den unterschiedlichen Tätigkeiten und Funktionen, denn außer den Mönchen gab es auch Novizen, also Anwärter auf den Beitritt zum Orden, Dienstpersonal und Besucher. Die Anordnung der Gebäude folgt aber im Sankt Galler Klosterplan nicht nur praktischen Bedürfnissen, das Ganze ist in die regelmäßige Form eines Rechteckes gebracht.
Der 112 x 77,5 cm große Plan entstand wahrscheinlich zwischen 819 und 826 im Kloster Reichenau und ist dem Abt Gozbert des Klosters Sankt Gallen gewidmet. Heute bewahrt ihn die Stiftsbibliothek Sankt Gallen als Codex 1092 auf: http://www.stgallplan.org/de/index_plan.html.
Der Plan gehört er zu den bedeutendsten Denkmälern der karolingischen Zeit. Er ist zugleich die älteste erhaltene Visualisierung eines Baukomplexes und ein Dokument für die Entstehung der Architekturzeichnung. Für das Mittelalter besitzen wir sonst keine vergleichbaren Entwürfe. Viele Elemente von späteren Stadtutopien begegnen uns hier bereits: Die Suche nach einer „idealen“ Grundform, die Anordnung der Gebäude entsprechend ihrer Bedeutung und Funktion, die Strukturierung von Wegen und Verbindungen, für die Hygiene und die Gesundheitsversorgung notwendige Anlagen, die Trennung der Bereiche für die unterschiedlichen Arbeiten, die Tierhaltung und Garten bzw. landwirtschaftlich genutzte Flächen.
Der Plan zeigt einen Grundriss, nicht wie die Gebäude im Einzelnen aussehen sollten. Aus den Angaben der Funktionen übereinanderliegender Räume erkennt man, welche mehrstöckig geplant waren. Aus den Icons erschließt sich, wo Türen, Fenster, Bögen und Pfeiler vorgesehen waren und dass Hühner- und Gänsestall rund waren und ein Kegeldach hatten. Mit diesen Angaben kann man eine dreidimensionale Rekonstruktion des Komplexes herstellen. In Meßkirch baut man seit 2013 mit mittelalterlichen Baumethoden und Werkzeugen den Klosterplan nach: www.campus-galli.de.
Literaturauswahl
Der St. Galler Klosterplan. Faksimile, Begleittext, Beischriften und Übersetzung, hg. v. Stiftsbibliothek St. Gallen. Mit einem Beitrag von Ernst Tremp, St. Gallen 2014.
Barbara Schedl: Der Plan von St. Gallen – Ein Modell europäischer Klosterkultur, Wien, Köln, Weimar 2014.
Werner Jacobsen: Der Klosterplan von St. Gallen und die karolingische Architektur. Entwicklung und Wandel von Form und Bedeutung im fränkischen Kirchenbau zwischen 751 und 840, Berlin 1992.
2 Tenochtitlan
Mexico City - eine Stadt in der neuen Welt
Zusammen mit einer der ersten Karten der Karibik wurde die Darstellung der aztekischen Hauptstadt Tenochtitlan 1524 als gefaltete Beilage zu den Briefen, in denen der Eroberer Hernán Cortés von seinem Feldzug in Mexiko berichtet, in Nürnberg gedruckt. Der 47 x 29 cm große Plan wurde oft aus dem Verbund der Briefe gelöst und gelegentlich handkoloriert – die bekanntesten farbigen Fassungen werden heute in der Newberry Library in Chicago und in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien aufbewahrt.
Das Interesse an dem gerade neu entdecktem Kontinent Amerika und dessen Städten führte zu einer schnellen Verbreitung der vielfach als Holzschnitt reproduzierten Karte in ganz Europa. Sie formte die Idee, wie eine Stadt in der neuen Welt aussah. Die Karte entspricht jedoch nicht der tatsächlichen Topographie der Stadt – drei Jahre vor der Entstehung dieser Ansicht legten die Spanier bei ihrem Eroberungsfeldzug Tenochtitlan in Schutt und Asche. Basierend auf den Stadtbeschreibungen der Eroberer und aztekischen Karten ist der Plan ein Konstrukt aus europäischen Idealvorstellungen von Fremdheit mit indianischen Weltvorstellungen.
Der Plan zeigt die in einem runden See liegende, auf natürlichen und künstlichen Inseln und Sandbänken errichtete Hauptstadt der Azteken, die durch fünf Dämme mit dem Festland verbunden und nur über zwei hölzerne Zugbrücken erreichbar ist. Mittelpunkt stellt der quadratische Hauptplatz dar, um den konzentrisch in vier Stadtvierteln Gassen und Kanäle regelmäßig angeordnet sind.
Dieser quadratische Tempelbezirk im Stadtkern repräsentiert das religiöse Zentrum der aztekischen Glaubens- und Vorstellungswelt, an dem alle irdischen und himmlischen Kräfte aus allen vier Himmelsrichtungen zusammentreffen. Vor dem großen Opfertempel sind Gerüste mit Köpfen von Menschenopfern und ein kopfloses Götzenbild zu sehen, die das Andersartige der aztekischen Kultur sichtbar machen. Das Aquädukt, der Deich als Hochwasserschutz und die verschiedenen feudalen Prachtbauten des Herrschers Montezuma nehmen Bezug auf zivilisatorische Errungenschaften, die in Europa verbreitet waren. Auch die künstlerische Gestaltung der Gebäude und Straßen auf der Karte stehen in einer europäischen Darstellungstradition.
Beim Wiederaufbau der Stadt orientierten sich die Spanier am geometrisch angelegten Straßen- und Kanalnetz von Tenochtitlan. Heute befindet sich anstelle des Tempelplatzes der Zócalo, der zentrale Platz vor der Kathedrale von Mexikostadt. Die schachbrettartige Stadtanlage um einen Hauptplatz wurde richtungsweisend für weitere Kolonialstädte in der neuen Welt.
Literaturauswahl
Hernán Cortés: Praeclara Ferdinandi Cortesii de Nova maris Oceani Hyspania Narratio [...], übers. v. Pietro Savorgnano, Nürnberg 1524 (Die gedruckten Briefe Hernán Cortés an Karl den V.)
Die Eroberung Mexikos. Drei Berichte von Hernán Cortés an Kaiser Karl V, hg. v. Claus Litterscheid, Frankfurt a.M. 1980.
Elizabeth Hill Bone: „This new world now revealed: Hernán Cortés and the presentation of Mexico to Europe“, in Word & Image, 27, 1 (2011), S. 31-46. http://tulane.edu/liberal-arts/art/upload/The-New-World-now-revealed-pdf.pdf
Krystel Chéhab: A view to the world. Tenochtitlan, Travel and Utopia in the Early Modern Period, Masterarbeit, McGill Universtity, Montreal 2007.
Barbara E. Mundy: „Mapping the Aztec Capital: The 1524 Nuremberg Map", in Imago Mundi, 50 (1998), S. 11-33.
http://www.latinamericanstudies.org/aztecs/tenochtitlan-map-1524.pdf
3 Palmanova
Eine Festungsstadt der Renaissance
Die Stadt Palmanova wurde kurz vor 1600 auf dem Umland von Venedig, der sogenannten Terra Ferma, angelegt. Sie sollte die Grenze des venezianischen Staates im Osten besonders gegen die Bedrohung durch die Türken verteidigen. Bei der Planung wirkte Vincenzo Scamozzi, ein Schüler des berühmten Architekten Palladio, mit. Die Konstruktion des Grundrisses basiert auf den drei Fernstraßen, die auf dem sechseckigen Hauptplatz münden. An dem Platz liegen die Hauptkirche und das Rathaus. Ungewöhnlich ist der runde Turm mit Wassergraben, der in der Mitte stehen sollte.
Der Dreistrahl der Straßen wurde auf neun Achsen erweitert. Jede Achse läuft auf eine Bastion der polygonalen Befestigungsanlage zu, auf der anderen Seite hingegen auf die Mitte des Mauerabschnitts. Auf diese Weise sind die drei Stadttore von beiden Seiten durch nahegelegene Bastionen geschützt, und es ergibt sich eine regelmäßige, sternförmige Gesamtanlage. Das Exponat zeigt nicht nur den handkolorierten Kupferstich aus dem berühmten Bildatlas von Braun und Hogenberg (um 1600), sondern auch den ein Jahrhundert älteren Entwurf des Renaissance-Künstlers Antonio Filarete für die ideale Fürstenstadt „Sforzinda“ (nach der Familie Sforza, den Herrschern von Mailand), sowie andere Festungsstädte mit regelmäßigem Grundriss.
4 Amsterdam
Ein bürgerliches Ideal des 17. Jahrhunderts
Amsterdam entstand erst im späten Mittelalter. Im 16. Jahrhundert hatte die Stadt noch keine große Bedeutung. Ihr Wachstum begann in den Religionskriegen nach der Reformation, als das katholische Spanien die südlichen Niederlande, das heutige Belgien, besetzte und alle nichtkatholischen Einwohner gezwungen wurden, entweder zu konvertieren oder auszuwandern. Vor allem Protestanten aus Flandern und Brabant, aber auch aus Deutschland zogen in die Stadt an der Amstel und brachten ihre Fähigkeiten, Besitztümer und Handelsbeziehungen mit. Antwerpen, die bis dahin wichtigste niederländische Handelsstadt, war durch die kriegsbedingte Blockierung der Scheldemündung lahmgelegt.
Infolge dieser Konstellation brach in Holland das „Goldene Zeitalter“ an, das etwa ein Jahrhundert dauerte. Der wirtschaftliche Boom durch den Welthandel führte zur Entstehung der modernen Börse; berühmt ist die Spekulations-Blase mit den gefragten Tulpenzwiebeln, die 1637 platzte. Die Bevölkerung von Amsterdam wuchs rasend schnell von 30.000 auf 210.000 Einwohner. Schon 1612 wurde eine Erweiterung auf die vierfache Fläche geplant und begonnen. Die mittelalterlichen Stadt wurde mit einem nahezu halbkreisförmigen Bastionenring umgeben, in dem ein regelmäßiges Straßenraster und ein Ring von drei konzentrischen Grachten den Warenverkehr ermöglichte. Die sehr einheitlich gestalteten Kontorhäuser der Kaufleute bringen die auf der Gleichberechtigung der vornehmen Bürger beruhende Herrschaftsform der Republik zum Ausdruck.
5 Molls Stadt für 100.000 Seelen
Eine Vision der Aufklärung
Plan d’une ville de cent mille âmes, 1801
Über das Leben von Jean Jacques Moll (1743-1828) ist nicht allzu viel bekannt. Er ist in der Schweiz geboren, lebte um 1800 in Paris und hat eine Reihe staatstheoretischer und aufklärerischer Schriften hinterlassen. Eines seiner großen Themen waren Vorschläge zur Neuordnung Frankreichs in Verwaltungseinheiten. In diesem Zusammenhang ist auch sein Idealentwurf einer Stadt für 100.000 Seelen zu sehen, die auf einem kolorierten Plan in der Größe von 54 x 45 cm dargestellt ist. Der Plan erschien 1801 zusammen mit einer ausführlichen Beschreibung der Idealstadt, die an möglichst flachen Standorten und in relativ kurzer Zeit errichtet werden konnte. Moll entwickelte seine Stadtvision, als Napoleon Bonaparte in Frankreich regierte. Zu dieser Zeit wurden viele Städte geplant, die den militärischen Bedürfnissen entsprachen und zugleich viele Eigenschaften der modernen und bürokratisch verwalteten Stadt vorwegnahmen.
Ein wesentliches Merkmal von Molls Stadtvision ist, dass nicht nur das Regierungsgebäude im Zentrum von Gärten eingefasst werden sollte; auch für alle Wohnblocks sah Moll Hinterhöfe und Gärten vor. Zudem sollten die Straßen breit und mit Bürgersteigen für die Fußgänger angelegt sein. Das wichtigste Kriterium der Planstädte im 18. Jahrhundert war, freie Bewegung im Raum zu garantieren und eindrucksvolle Blickachsen zu schaffen. Plätze und Brunnen gehörten deshalb ebenso zu Molls modernem und komfortablem Stadtbild wie überdachte Galerien, die Stadt und Land auch bei Regen betrachten ließen. Die Promenade, das Spazierengehen, ist eines der großen Themen seit dem 18. Jahrhundert. Sehen und gesehen werden war das bedeutende Motiv. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden daher in vielen Städten große Boulevards angelegt, die wie in Molls Plan die Straße vom Trottoir für die Fußgänger trennen. Im Vergleich mit der Umgestaltung von Paris unter Baron Haussmann (Mitte des 19. Jahrhunderts) erkennen wir, wie vorausschauend Molls Plan um 1800 bereits gedacht ist. Schönheit und Nützlichkeit, Ordnung und Kontrollierbarkeit gingen eine enge Verbindung ein. Dabei ist der Plan gar nicht so einheitlich, wie er auf den ersten Blick wirkt. Moll strebt nach Variation im Detail, die die Stadt im Ganzen lebendig macht: indem zum Beispiel jede Straße andere Häuserfassaden besitzen und stets neue Ansichten bieten sollte.
Literaturauswahl
Jean Jacques Moll: Plan d’une ville de cent mille âmes, c’est-à-dire, cahier servant de suite audit plan […], Paris 1801. https://blogs.ethz.ch/digital-collections/2008/08/12/jean-jaques-moll-plan-dune-ville-de-de-cent-mille-ames-bienne-sn1809
Anthologie zum Städtebau. Ein Forschungsprojekt der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, hg. v. Vittorio Magnago Lampugnani, Bd. I,1, Berlin 2008, S. 126-138 (zu Molls Plan).
J. Strickler: „Johann Jakob Moll von Biel, ein Staatstheoretiker des XVIII. Jahrhunderts“, in Blätter für bernische Geschichte, Kunst und Altertumskunde, 1 (1905), S. 123-126.
http://dx.doi.org/10.5169/seals-176427
„Klar und lichtvoll wie eine Regel“. Planstädte der Neuzeit vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, hg. v. Michael Maaß, Karlsruhe 1990.
6 Slumless Smokeless Cities
Die Gartenstadt als Lebensraum im 19. Jahrhundert
Mit der Slumless Smokeless City entwirft der englische Parlamentsstenograf Ebenezer Howard (1850–1928) das Modell einer Gartenstadt als urbanen Lebensraum. Formuliert in seinem Buch Garden-Cities of To-Morrow, das erstmals 1898 unter dem Titel To-Morrow: A Peaceful Path to Real Reform erschien, sucht Howard Antworten auf Probleme seiner Zeit: Im Zeitalter der Industrialisierung soll die Gartenstadt ein Leben frei von Slums bieten und die Vorzüge des sozialen sowie kulturellen Lebens einer Metropole mit jenen des Landes verbinden. So sieht das Konzept der Gartenstadt vor, dass sie im Grünen liegt. Sie umfasst sowohl ländliche Wohnsiedlungen als auch Fabriken und bietet ihren Einwohnern kulturelle Angebote. Howards Ideen waren stark sozialreformerisch geprägt: Grund und Boden der Gartenstädte sollte in gemeinschaftlichem Besitz sein, Kapitalerträge in die Gemeinschaftseinrichtungen fließen und die Mieten gering sein.
Das System der Gartenstadt bildet eine Einheit, deren Einwohnerzahl eine Grenze von 250 000 nicht überschreiten sollte, wobei ein Ring kleinerer Städte mit je rund 32 000 Einwohnern eine Zentralstadt von rund 58 000 Einwohnern umgibt. Ein Park als Mittelpunkt der Anlage ist von allen Einwohnern schnell zu erreichen und beherbergt kulturelle Einrichtungen. Radial davon verlaufende und mit Bäumen bepflanzte Boulevards stellen die Verknüpfung zwischen Zentrum, Wohngebieten und der umgebenden Landschaft her. An der ringförmig angelegten „Großen Avenue“ finden sich Schulen, Spielplätze und Kirchen, am Außenring der Stadt erheben sich Fabriken, Lagerhäuser und andere Gewerbebetriebe.
Howard thematisiert mit seinem Stadtkonzept politische und moralische Probleme der menschlichen Umwelt. Entscheidend sind dabei Fragen nach dem Umgang des Menschen mit der Natur, mit seinen Mitmenschen und mit sich selbst. Mit der Gründung der englischen Städte Letchworth und Welwyn wurde seit 1903 an der praktischen Umsetzung der Ideen Howards gearbeitet. In Deutschland wurde Howards Konzept am konsequentesten in der ersten deutschen Gartenstadt Hellerau, einem heutigen Stadtteil von Dresden realisiert.
Web-Links
https://www.youtube.com/watch?v=HAuUnXdIx7E (Film: What was Ebenezer Howard's big idea?)
Literaturauswahl
Erika Schmidt: Gärten und Gemeinschaftsgrün in der historischen Gartenstadt. Ihre Rolle in Ebenezer Howards Konzept, in: Gartenstadt. Geschichte und Zukunftsfähigkeit einer Idee (Tagungsakten Dresden 2008), hg. v. Thomas Will, Dresden 2012, S. 72-83.
From Garden City to Green City. The Legacy of Ebenezer Howard, hg. v. Kermit C. Parsons und David Schuyler, Baltimore, Md. u. a. 2002 (Center books on contemporary landscape design).
Ebenezer Howard: Gartenstädte von morgen. Das Buch und seine Geschichte, hg. v. Julius Posener, Berlin u.a. 1968 (Bauwelt-Fundamente, 21).
7 Plug-In City
Eine technische Utopie des 20. Jahrhunderts
Der Plan der Plug-In City zeigt einen zweidimensionalen Schnitt durch eine fiktive Hightechstadt, der 1964 von der britischen Architektengruppe Archigram (1960-1974) entworfen wurde. Die computergesteuerte Stadt besteht aus einer netzwerkartigen, universell erweiterbaren Rahmenstruktur mit allen Verkehrs- und Versorgungsleitungen. Darin werden standardisierte, austauschbare Baueinheiten (Module), wie Wohnkapseln, Büro- und Garagentürme, für die sich wandelnden Lebensbedürfnisse durch Kräne eingesteckt.
Die Plug-In City ist Teil einer Reihe von Projekten, wie der Walking City (1964) oder der Instant City (1968), die in der Archigram-Zeitschrift veröffentlicht und auf Ausstellungen präsentiert wurden. Die sechs Mitglieder der Gruppe, Peter Cook, Waren Chalk, Dennis Crompton, David Greene, Ron Herron und Michael Webb, kritisierten das polyzentrische Stadtmodell der 1960er Jahre. Anlass dazu bot die immense Ausdehnung Greater Londons in Form von monotonen Vororten und Hochhausghettos, die unter anderem zur Überlastung des Stadtzentrums durch den Pendelverkehr führte. Die alternative, platzsparende Ordnung der „Megastruktur“, die sich unabhängig von topografischen, klimatischen und auch sozialen Bedingungen in die Höhe ausdehnen könnte, bot verschiedene Lösungsansätze für die damaligen städtebaulichen Probleme.
Die Plug-In City vereint exemplarisch die zentralen Themen von Mobilität, Technologie und Konsum mit den Kernelementen der als Megastrukturen bezeichneten radikalen Stadtvisionen, die in den 1960er und 1970er Jahren weltweit von Avantgarden entwickelt wurden. Auch wenn die Stadtkonzepte von Archigram, den japanischen Metabolisten und anderen nie realisiert wurden, zeugen einzelne Bauwerke (z.B. Expo ‘67) und heutige Stadtprojekte (Palm Islands, Dubai) von ihrer Bedeutung in der Baugeschichtsschreibung und Architekturtheorie. Die kraftvolle, farbintensive Bildsprache Archigrams, die sichtlich von Pop Art, Hippie-Kultur, Comics, Cartoons und Weltraum-Science Fiction inspiriert war, beeinflusste als Sprachrohr einer jungen Generation künftige Architekten und Künstler. Die Megastrukturen sind nicht nur vor dem Hintergrund der Aufbruchsstimmung, Technikeuphorie und Schnelllebigkeit der Nachkriegsgesellschaft zu betrachten, sondern müssen auch in Hinblick auf die Sorgen um die Zerstörung von Großstädten in einem möglichen Atomkrieg verstanden werden. Trotz der Kritik als größenwahnsinnige Utopien bieten sie gerade wegen ihres visionären Blicks auf isolierte Probleme den Architekten, Stadtplanern und Wissenschaftlern der Gegenwart eine wichtige Inspirationsquelle und Diskussionsgrundlage für die Zukunft.
Plug-In City, Max. Pressure Area Section, 1964, Archigram (Peter Cook), Handkolorierter Druck, Farbfilm, 84 x 176 cm, Archigram Archives.
Web-Links:
http://archigram.westminster.ac.uk/ (Archigram Archival Project, University of Westminster)
http://www.megastructure-reloaded.org/de/archigram/ (Langzeitforschungs- und Ausstellungsprojekt „Utopia Revisited”, 2008)
http://www.idealcity-invisiblecities.org/ („Utopia Revisited”, 2006)
Literaturauswahl
Peter Cook: Archigram, New York 1999.
Christoph Düesberg: Megastrukturen. Architekturutopien zwischen 1955 und 1975, Berlin 2013.
Ruth Eaton: Die ideale Stadt. Von der Antike bis zur Gegenwart, Berlin 2001.
Utopia Forever. Visions of architecture and urbanism, hg. v. Robert Klanten, Berlin 2011.
Sonja Anna Meseure: Die "schöne neue Welt" von Archigram, in Architektur-Jahrbuch (2000), S. 179-183.
Dalle città ideali alla città virtuale, hg. v. Carlo Mezzetti, Rom 2005.
Simon Sadler: Archigram, architecture without architecture, Cambridge, Mass. u.a. 2005
Impressum
Das Kunsthistorische Institut in Florenz
Das Kunsthistorische Institut in Florenz ist eine der ältesten Einrichtungen zur Erforschung der Kunst- und Architekturgeschichte Italiens, die hier in ihren europäischen, mediterranen und globalen Bezügen untersucht wird.
1897 in privater Initiative durch eine Gruppe unabhängiger Gelehrter gegründet, gehört es seit 2002 zur Max-Planck-Gesellschaft. An dem heute von zwei Direktoren geleiteten Institut sind ca. 60 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tätig, wobei ein Schwerpunkt auf der Förderung des internationalen wissenschaftlichen Nachwuchses liegt. Neben den zahlreichen Einzelforschungen, Drittmittelprojekten und einer Vielzahl von internationalen Kooperationen mit Universitäten, Museen und Forschungseinrichtungen werden am Kunsthistorischen Institut in Florenz größere lang- und mittelfristig angelegte Projekte durchgeführt, die thematisch von der Spätantike bis zur Moderne reichen.
Forscherinnen und Forscher aus aller Welt können die institutseigenen Ressourcen nutzen, d.h. vor allem die Bibliothek mit über 360.000 zum Teil sehr seltenen Bänden - darunter über 1.070 laufend gehaltene Zeitschriften - und eine der weltweit umfangreichsten Fototheken zur italienischen Kunstgeschichte. Mit seinem dichten Programm an öffentlichen wissenschaftlichen Veranstaltungen und bis zu 100 Besuchern täglich versteht sich das Kunsthistorische Institut in Florenz als Forum eines lebendigen, internationalen und interdisziplinär offenen, wissenschaftlichen Austauschs.
Die Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte
Die Bibliotheca Hertziana ist ein deutsches kunsthistorisches Forschungsinstitut in Rom, das aus der Stiftung von Henriette Hertz (1846–1913) hervorgegangen ist. Sie hinterließ 1913 ihren direkt an der Spanischen Treppe gelegenen Palazzo Zuccari sowie ihre Sammlung von Büchern und Fotos der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, aus der die Max-Planck-Gesellschaft hervorging. Daher ist die Bibliotheca Hertziana nicht nur eines der ältesten Institute der MPG, sondern auch das erste mit geisteswissenschaftlicher Ausrichtung.
Die drei Abteilungen haben folgende Schwerpunkte bei der Erforschung der Kunst Italiens in ihrem europäischen Kontext: Malerei und Bildkünste der Neuzeit, Architektur und Architekturtheorie sowie die Kunst des Mittelalters. Ein wesentliches Anliegen des Instituts ist die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Mit der Teilnahme an den Archiv- und Studienkursen können Doktoranden und Promovierte ihre Fähigkeiten und Kenntnisse in der kunsthistorischen Forschung erweitern.
Die Bibliothek umfasst heute über 350.000 Bände, darunter die besonders wertvolle Rara-Sammlung. Die Fotothek besitzt über 800.000 Fotografien, Negative und digitale Fotos. Mit diesen zum großen Teil im Freihandbereich zugänglichen Ressourcen bietet die Bibliotheca Hertziana hervorragende Bedingungen für Forschende, die sich mit der italienischen Kunst seit der Spätantike beschäftigen. Zahlreiche Tagungen, Vorträge sowie Exkursionen bieten Gelegenheit zum wissenschaftlichen Austausch.
Projektgestaltung
Philine Helas, Hannah Prinz, Martin Raspe, Anne Scheinhardt, Brigitte Sölch, Tim Urban